Verteilnetzbetreiber unter Strom
- Marcel Würmli
- 18. Jan. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 19. Jan. 2024
Die Energiewende in der Schweiz bringt eine bedeutende Dezentralisierung des Energie-systems mit sich. Diese Veränderung wird sich in den unteren Netzebenen verstärkt auf eine intelligente, lokale Energieverwaltung abstützen. Das heisst, die Rolle der Verteilnetze und die Aufgaben der EVU - insbesondere der Verteilnetzbetreiber - müssen erweitert werden, um eine jederzeit nachhaltige, sichere und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten.
Hohe Investitionen in den Netzausbau
Gemäss einer Schätzung des Bundesamtes für Energie (BFE) steigt der Elektrizitätsbedarf von heute 62 TWh auf rund 80 bis 90 TWh im Jahre 2050. Damit einher geht ein geschätz-ter Investitionsbedarf von >> CHF 20 Mrd. für den Ausbau der Stromnetze. Geht man von einem Anteil der Verteilnetze (Mittel- und Niederspannung) von 80% aus, sind diese >> CHF 16 Mrd. über einen Zeitraum der nächsten rund 25 Jahre.
Entlastung des Netzausbaus durch die Nutzung von Flexibilitäten
E-Autos, Wärmepumpen und Heimspeicher können im 2050 geschätzt rund 8 bis 9 TWh Stromnachfrage flexibilisieren (Annahme: rund 10% der gesamten Stromnachfrage). Um diese sich entwickelnden Flexibilitäten netzdienlich zu nutzen, bestehen zusätzlich zur heute bereits praktizierten grossflächigen Laststeuerung folgende Möglichkeiten:
Dynamische Tarife für Strom und Netz als Kombination von dynamischen Strompreisen und dynamischen Netzentgelten*
Strompreise widerspiegeln die Verfügbarkeit von Strom
Netzentgelte widerspiegeln die lokale Netzauslastung, damit können Belastungsspitzen im Netz vermieden werden
Die Digitalisierung der Verteilnetze ermöglicht eine zügige Einführung der dynamischen Strom- und Netztarife
Endkunden profitieren von tieferen Gesamtkosten und können die Energiewende aktiv mitgestalten
Herausforderungen auf die Verteilnetzbetreiber
Dies zu ermöglichen, umfasst folgende Bereiche:
Anpassung der Infrastruktur: Vorbereitung, Planung und koordinierte Umsetzung der Aktivitäten in den nachstehend beschriebenen Handlungsfeldern.
Integration von Smart Grid - Technologien: Smart Grids ermöglichen es, Angebot und Nachfrage in Echtzeit zu steuern und die Energieeffizienz zu verbessern. Für Verteilnetzbetreiber in der Schweiz bedeutet dies eine erhebliche Investition in intelligente «intelligente Messsysteme»**, kommunikative Vernetzung und Datenmanagement-Systeme. Diese Technologien sind nicht nur für die Netz-steuerung entscheidend, sondern auch, um den Endverbrauchern transparente und nachvollziehbare Abrechnungsmodelle zu bieten.
Cybersecurity und Datenschutz: Mit der Digitalisierung der Netze steigen auch die Anforderungen in diesem Bereich. Der Mantelerlass verlangt von den Betreibern, ihre Systeme gegen Cyberangriffe abzusichern und die Datenschutzrichtlinien einzuhalten. Dies erfordert umfassende Sicherheitskonzepte und fortlaufende Investitionen in die IT-Sicherheit.
Regulatorische Anforderungen und Wirtschaftlichkeit: Neben den technischen Herausforderungen müssen sich die Verteilnetzbetreiber auch mit den regulatorischen Anforderungen auseinandersetzen. Diese Verordnungen beeinflussen die Wirtschaftlichkeit ihrer Geschäftsmodelle. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Betreiber Wege finden, die Effizienz ihrer Netze zu steigern und gleichzeitig die Kosten für die Endverbraucher stabil zu halten.
Erhöhung der Effizienz und Effektivität: Überprüfung und Verbesserung der Geschäftsprozesse, Einsatz von modernen Technologien wie künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Big Data, um manuelle Prozesse zu automatisieren und die Datenerfassung und -analyse zu verbessern.
Innovative Geschäftsmodelle und Partnerschaften: Die Transformation der Energiebranche eröffnet auch neue Geschäftsmöglichkeiten. Innovative Geschäftsmodelle, wie z.B. Energy-as-a-Service (EaaS), bieten den Verteilnetz-betreibern Chancen, zusätzliche Einnahmequellen zu generieren. Kooperationen mit Technologieanbietern, Gemeinden, gleich gelagerten Vertneilnetzbetreibern und anderen Stakeholdern sind entscheidend, um Synergien zu schaffen und die Energiewende effektiv voranzutreiben.
Bildung und Fachkräftemangel: Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist der Bedarf an qualifizierten Fachkräften, die mit den neuen Technologien und Geschäftspro-zessen umgehen können. Verteilnetzbetreiber stehen vor der Aufgabe, bestehende Mitarbeiter weiterzubilden und neues Personal mit spezialisierten Kenntnissen zu rekrutieren.
Fazit
Die Umsetzung der Anforderungen aus dem Mantelerlass ist eine komplexe Herausforde-rung für die Verteilnetzbetreiber. Diese erfordert nicht nur erhebliche Investitionen und technologische Umgestaltungen, sondern auch ein Umdenken in der Geschäftsstrategie und Unternehmenskultur. Die Verteilnetzbetreiber stehen am Scheideweg: Sie können entweder als passive Verteiler von Energie agieren oder sich als proaktive Gestalter der Energielandschaft neu erfinden. In diesem dynamischen Umfeld wird die Fähigkeit zur Innovation über die Zukunft der einzelnen Verteilnetzbetreiber entscheiden.
* gesetzliche/regulatorische Grundlagen müssen geschaffen werden
** Verpasste Chance:
In der Schweiz werden zurzeit flächendeckend Smart Metering Systeme ausgerollt. Dabei erfüllen zahlreiche Verteilnetzbetreiber «nur die Pflicht» und beschaffen intelligente Messsysteme, welche die zukünftigen Anforderungen an eine zuverlässige Kommunikation (Bandbreite, Reaktions- und Antwortzeiten) nicht erfüllen.
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