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Modell zur Förderung der Stabilität der Stromnetze durch dezentrale Ausgleichs- und Regelenergie

  • Autorenbild: Marcel Würmli
    Marcel Würmli
  • 3. März
  • 9 Min. Lesezeit

Die Energiemärkte befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Dekarbonisierung der Energieversorgung, die zunehmende Dezentralisierung der Stromerzeugung und der technologische Fortschritt bilden zusätzliche Herausforderungen zur Gewährleistung der Netzstabilität und Versorgungssicherheit. In diesem Kontext gewinnen neue Ansätze im Bereich der Regel- und Ausgleichsenergie zunehmend an Bedeutung.

Dieser zusammenfassende Bericht geht auf die aktuelle Situation in Europa und der Schweiz ein und beschreibt Konzepte und Massnahmen, wie die Netzstabilität der Zukunft dezentral, digital und klimafreundlich gewährleistet werden kann.

Der vollständige Bericht kann unter marcel.wuermli@spry-consulting.ch bestellt werden.

  1. Status quo der Regelenergie in Europa und der Schweiz

Gegenwärtig wird die Netzfrequenz im europäischen Verbundsystem zentral durch Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) mit verschiedenen Regelenergieleistungen stabil gehalten. Man unterscheidet Primärreserve, Sekundärreserve und Tertiärreserve. Diese werden in wettbewerblichen Märkten von Kraftwerksbetreibern oder Aggregatoren angeboten und von den ÜNB auch grenzüberschreitend beschafft. In der Praxis stellen grosse, flexible Kraftwerke (z.B. Pumpspeicher, Gasturbinen) den Grossteil dieser Ausgleichsenergie bereit.

1.1 Herausforderungen des heutigen Regimes

Die rapide Zunahme fluktuierender Erzeugung aus Photovoltaik (PV) und Wind stellt das zentrale Regelsystem vor wachsende Schwierigkeiten. Wetterabhängige Einspeiser führen zu grösseren Prognosefehlern und kurzfristigen Leistungsänderungen, was höhere Regel-energiebedarfe auslöst. ÜNB müssen vermehrt kostenintensive Eingriffe vornehmen, um Frequenz und Lastflüsse zu stabilisieren. Dies kann zu höheren Regelenergiekosten für Verbraucher führen. Ferner sind die heutigen Märkte teils noch national fragmentiert, grenz-überschreitende Ausgleichsmechanismen (z.B. gemeinsame Beschaffung von Primär-reserve) befinden sich im Aufbau. In der Schweiz kommt hinzu, dass ohne Stromab-kommen mit der EU die Integration in europäische Regelleistungsmärkte herausfordernd ist.

Insgesamt zeigt sich, dass das bestehende zentralisierte Regime an Grenzen stösst: Die Verteilnetzbetreiber nehmen immer aktiver am Geschehen teil (Einspeisung dezentraler Erzeuger, Rückspeisung von Überschüssen), sind aber im heutigen System vor allem passive Empfänger von Vorgaben. Diese Diskrepanz führt zu Ineffizienzen und Spannungs-problemen im Verteilnetz sowie zu Engpässen im Übertragungsnetz, wenn lokale Überschüsse oder Defizite nicht lokal ausgeglichen werden können.

  1. Subsidiaritätsprinzip für Regelenergie und zellulare Ansätze

Eine vielversprechende Antwort auf diese Herausforderungen ist das Subsidiaritätsprinzip in der Bereitstellung von Regelenergie. Nach diesem Prinzip soll die physikalische Bilanz zwischen Angebot und Nachfrage so weit wie möglich auf lokaler Ebene hergestellt werden – nur verbleibende Restabweichungen werden an die nächsthöhere Netzebene weiter-gereicht. Dieses Konzept steht im Zentrum des Zellularen Energiesystems (ZES). Jede Zelle – etwa ein Ortsnetz oder eine Region – strebt an, Erzeugung und Verbrauch selbst auszu-gleichen, bevor Hilfe von aussen bezogen wird. In einem solchen subsidiären Regime würden Eingriffe der ÜNB erst erfolgen, wenn die unteren Ebenen ihre Möglichkeiten ausgeschöpft haben.

2.1 Vorteile lokaler Regelenergie

Eine stärkere lokale Bereitstellung entlastet das Übertragungsnetz und erhöht die Resilienz des Gesamtsystems. Wenn zum Beispiel ein unerwarteter Verbrauchssprung in einer Stadt eintritt, könnten lokale flexible Ressourcen (Batteriespeicher, Lastmanagement) sofort reagieren, anstatt Regelenergie aus weit entfernten Kraftwerken anzufordern. Dadurch bleiben Ausgleichsströme kleinräumiger, was Übertragungsleitungen und Kuppelstellen weniger belastet.

Subsidiarität bedeutet auch, die Verantwortung für Netzstabilität auf viele Schultern zu verteilen: Koordination von wenigen grossen Kraftwerken mit verschiedenen dezentralen Akteuren. Dies fördert Innovation und Beteiligung neuer Akteure wie kommunaler Energieversorger oder Prosumer.

2.2 Herausforderungen eines subsidiären Regimes

Die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips erfordert eine völlig neue Koordinations-struktur im Energiesystem. Technisch muss sichergestellt werden, dass lokale und übergeordnete Regelung nahtlos ineinandergreifen, um die Gesamtfrequenz von 50 Hz zu halten. Frequenzabweichungen machen nicht an Zellgrenzen Halt, das heisst obwohl eine Zelle sich möglichst selbst ausgleicht, bleibt sie synchron mit dem Verbund. Ein Mechanis-mus muss festlegen, wann die nächsthöhere Ebene eingreift und wie der Informations-austausch erfolgt.

Aktuell sind die meisten Vorschriften auf zentrale ÜNB-Regelung ausgerichtet, ein zellulares Regime bräuchte klare Vorgaben, wie zellulare Energiemanagementsysteme lizenziert und überwacht werden.

2.3 Wirtschaftliche Anreize

Lokale Bereitstellung von Regelenergie lohnt sich nur, wenn entsprechende Marktmechanis-men oder Vergütungen existieren. Ohne Preissignale bis in die Verteilnetzebene hätten lokale Akteure kaum Motivation, ihre Flexibilität zur Verfügung zu stellen. Das Subsidiaritäts-prinzip muss daher mit einem passenden Marktdesign verknüpft werden, das sowohl lokale als auch überregionale Marktpreise abbildet.

  1. Nutzung von Flexibilitäten

Ein subsidiäres, dezentrales Stabilitätsregime baut darauf, dass alle verfügbaren Flexibili-täten im Netz aktiv genutzt werden – sei es auf Erzeugungs-, Last- oder Speicherseite. Technisch steht heute ein breites Spektrum an Optionen zur Verfügung:

  • Flexible Erzeugung: Klassische Regelkraftwerke bleiben wichtige Quellen von Ausgleichsenergie, doch zunehmend kommen Kleinerzeuger hinzu. Blockheizkraft-werke (BHKW) in Gebäuden oder Biogasanlagen auf dem Land lassen sich kurzzeitig drosseln oder hochfahren, wenn ein lokales Ungleichgewicht auftritt. Auch Wind- und PV-Anlagen können mittels steuerbarer Wechselrichter regelfähig gemacht werden.

  • Flexible Lasten: Verbraucher können ihren Strombezug zeitlich verlagern oder modulier-bar gestalten, um dem Netz zu helfen. Grosse Industriekunden sind oft in der Lage, kurzfristig ihre Leistung zu reduzieren, wenn Frequenzhaltung erforderlich ist. Auch im Gewerbe und Haushalt verbergen sich Flexibilitäten: Elektrische Wärmepumpen können ihre Heizleistung zeitlich ein wenig strecken, Boiler und Kühlgeräte können Temperatureinstellungen innerhalb verträglicher Toleranzen verschieben und so lastabwerfend wirken.

  • Stationäre Speicher: Batterie-Energiespeichersysteme (BESS) haben in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht und werden zunehmend strategisch im Netz eingesetzt. Stationäre Grossbatterien können innerhalb von Sekunden Leistung ins Netz einspeisen oder aufnehmen und eignen sich daher hervorragend für Frequenz-haltung und Minutenreserve.

  • Mobile Speicher: Neben stationären Speichern rücken auch mobile Speicher in Elektrofahrzeugen in den Fokus. Vehicle-to-Grid (V2G) bezeichnet die Rückspeisung von Energie aus E-Fahrzeug-Batterien ins Netz. Pilotprojekte zu V2G in Europa zeigen vielversprechende Ergebnisse. Auch Vehicle-to-Home (V2H) Konzepte erhöhen die Resilienz, da im Notfall ein E-Auto als Notstromversorgung dienen kann.

Zusammengefasst besteht die Rolle von Flexibilitäten darin, ein dynamisches Gleich-gewicht zu ermöglichen: Erzeuger können bei Bedarf gedrosselt oder hochgefahren werden, Verbraucher angepasst und Speicher geladen oder entladen werden. Durch Sektorkopplung (z.B. Einbeziehung von Power-to-Heat oder Power-to-Gas) lässt sich das Flexibilitätsspektrum noch erweitern, indem Stromüberschüsse in andere Energieträger umgewandelt werden. All diese Flexibilitäten müssen technisch angebunden werden (IoT, Smart Grid-Steuerungen), ökonomisch angereizt werden (Tarife, Vergütungen) und regulatorisch erlaubt sein, damit sie im Alltag zuverlässig zur Netzstabilität beitragen können.

  1. Zellulares Energiesystem

Das zellulare Energiesystem (ZES) ist ein Organisationsmodell, welches das Subsidiaritäts-prinzip praktisch umsetzt. Das Gesamtsystem wird in Energiezellen aufgeteilt, die jeweils aus einer Kombination von Erzeugern, Verbrauchern und Speichern in einem bestimmten Gebiet oder einer Einheit bestehen. Eine Zelle könnte z.B. ein Stadtviertel, eine Gemeinde oder ein Industriepark sein – sogar einzelne Gebäude oder Anlagen können als Mikro-Zellen betrachtet werden.

Innerhalb jeder Zelle übernimmt ein Energiezellen-Management die Aufgabe, Erzeugung und Verbrauch möglichst in Echtzeit auszugleichen und Überschüsse oder Defizite kontrol-liert mit Nachbarzellen oder der übergeordneten Ebene auszutauschen. Dynamische Preissignale für Netz und Energie sind dabei ein zentrales Steuerungsinstrument: Sie stellen sicher, dass jede Zelle auf Knappheit oder Überfluss reagiert.

Diese marktbasierte Regelung erlaubt es, dezentral Millionen von Entscheidungen zu koordinieren, ohne jede einzelne Zelle zentral steuern zu müssen. Dabei spielt die Prognose des preisabhängigen Flexibilitätspotenzials aller Verbraucher und Erzeuger eine entschei-dende Rolle, um Lastflüsse über Marktmechanismen zu steuern. Jede Zelle kommuniziert ihren Zustand (z.B. aktueller Leistungsüberschuss oder -bedarf) und Preisindikatoren an benachbarte Zellen oder eine Leitstelle. So entsteht ein Statusaustausch zwischen Zellen: Ist Zelle A im Überschuss und Zelle B in Knappheit, können Preissignale einen Energiefluss von A nach B auslösen – sei es durch physischen Stromfluss oder indirekt über Einspei-sung ins höhere Netz und Entnahme in B.

4.1 Notwendige technologische Anpassungen

Ein zellulares System erfordert die flächendeckende Digitalisierung der Netze. Echtzeit-Messwerte (Smart Metering) und Kommunikation (IoT-Sensoren, 5G, Glasfaser) sind die Basis, damit die vielen Zellen koordiniert handeln können. Jede Zelle braucht eine Energiemanagement-Plattform, die lokale Bilanzierungen vornimmt und mit Nachbarzellen interagiert. Technologien wie die Blockchain können helfen, die Vielzahl dezentraler Transak-tionen zuverlässig und fälschungssicher abzuwickeln. Gleichzeitig müssen IT-Sicher-heit und Datenschutz gewährleistet sein, da die Steuerungsdaten kritisch sind. Auch Netzschutzkonzepte bedürfen Anpassung: Ein Verteilnetz, das autonom Regelaufgaben übernimmt, muss z.B. Inselbetriebsfähigkeit haben, was neue Schutzrelais und Automati-sierungen erfordert.

4.2 Notwendige regulatorische Anpassungen

Regulatorisch steht ein Paradigmenwechsel an. Bisher konzentrieren sich Gesetze und Verordnungen (z.B. StromVG in der Schweiz) auf klare Rollen: ÜNB sichern die System-balance, VNB kümmern sich um die sichere Verteilung, Endverbraucher sind passiv. In einem ZES verschwimmen diese Grenzen: VNB werden zu aktiven Systemmanagern, Endverbraucher zu Prosumern mit Marktzugang, und neue Akteure wie Aggregato-ren vermitteln zwischen ihnen. Daher müssen Regulierungen geschaffen werden, welche lokale Flexibilitätsmärkte ermöglichen – etwa durch Anpassung des Marktdesigns, damit auch kleine Anlagen gebündelt Regelleistung anbieten dürfen.

  1. Technische und wirtschaftliche Bewertung des alternativen Regimes

5.1 Technische Vorteile für Stabilität und Netzsicherheit

Ein dezentral ausgerichtetes Regime erhöht die Systemstabilität auf mehreren Ebenen. Da lokale Zellen Schwankungen eigenständig abfangen, wird das Risiko grossräumiger Störungen verringert und Probleme können isolierter behandelt werden. Die Stromver-sorgung wird robuster gegenüber Extremsituationen: beispielsweise könnte bei einem Ausfall im Übertragungsnetz eine Region temporär im Inselbetrieb weiterlaufen, bis die Störung behoben ist, ohne dass es dort zum Blackout kommt. Insgesamt verteilt sich die Regelverantwortung auf viele kleine Einheiten, was eine gewisse Redundanz schafft. Fällt ein grosses Kraftwerk aus, können bestehende Batterien und Lasten einspringen. Diese fragmentierte Bereitstellung von Regelenergie macht das System weniger anfällig für einzelne Fehlerpunkte.

Auch die Frequenzhaltung kann profitieren: Viele kleine, schnell reagierende Ressourcen (Batterien, Lasten) können Frequenzabweichungen oft schneller ausgleichen als träge Grosskraftwerke. In der Summe bleibt die Frequenz näher an 50 Hz, was die Beanspru-chung des Netzes reduziert. Zudem sinkt der Bedarf an Notfallmassnahmen wie Last-abwürfen oder weitreichenden Redispatch-Massnahmen, da Engpässe lokal gelöst werden.

Ein weiterer technischer Pluspunkt ist die geringere Leitungsbelastung: Wenn mehr Energie vor Ort verbraucht wird, müssen weniger hohe Ströme über weite Strecken transportiert werden. Das reduziert Übertragungsverluste und thermische Beanspruchungen.

5.2 Wirtschaftliche Vorteile

Ein alternatives Regime verspricht erhebliche Kosteneinsparungen und Effizienzgewinne im Stromsystem:

  • Netzinvestitionen können reduziert oder zielgerichteter eingesetzt werden: Wenn lokale Engpässe durch Flexibilität behoben werden (z.B. Spitzenlast kappen statt Leitung verstärken), müssen Netzbetreiber weniger in rein kapazitätsgetriebenen Ausbau investieren.

  • Einsatz vorhandener Erzeugungsanlagen wird optimiert: Erneuerbare Überschüsse, die heute mangels Flexibilität oft abgeregelt werden, könnten genutzt werden. Das erhöht die Wirtschaftlichkeit erneuerbarer Anlagen und senkt zugleich die CO₂-Emissionen, weil weniger Ersatz durch fossile Erzeugung notwendig ist.

  • Sinkende Kosten für Reservehaltung und Spitzenlast: Durch Lastverschiebung und dezentrale Reserven könnten teure Spitzenkraftwerke vermieden werden. Dadurch würden die Kosten für Ausgleichsenergie drastisch sinken.

  • Neue Erlösmodelle für dezentrale Akteure: Haushalte mit PV+Speicher können durch die Bereitstellung von Regeldienstleistungen zusätzliche Einnahmen erzielen, Besitzer von Elektroautos können Geld dafür bekommen, dass sie dem Netz kurzfristig Strom zurückspeisen. Dieses «Crowd Balancing» eröffnet eine breite Wertschöpfung, die bisher nur Grosskraftwerken vorbehalten war.

  • Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz: Es werden nur noch diejenigen Flexibilitätsmassnahmen aktiviert, die gerade erforderlich und am günstigsten sind – z.B. schaltet ein Industriebetrieb seinen Prozess nur ab, wenn der Strompreis die entgangene Wertschöpfung übersteigt. So koordiniert ein Preismechanismus die Nutzung aller Ressourcen optimal. Insgesamt resultiert ein volkswirtschaftlicher Nettonutzen: höhere Versorgungssicherheit, geringere Emissionskosten durch bessere Erneuerbaren-Nutzung, vermiedene Investitionskosten und niedrigere laufende Aufwendungen.

Natürlich müssen den Einsparungen die Investitionskosten für die benötigte Infrastruktur (Smart Grids, IT-Systeme, Speicher) gegengerechnet werden. Doch verschiedene Untersuchungen legen nahe, dass die Nutzen die Kosten übersteigen, insbesondere da Technologien immer günstiger werden (Batteriekosten sinken, digitale Plattformen skalieren). Im Idealfall stellen sich Netzeingriffe als billiger heraus als Netzausbau, wenn Flexibilität intelligent genutzt wird. Zudem können Regulierer monetäre Anreize (z.B. Flexibilitätsprämien) setzen, um Investitionen auszulösen, wo sie gesamtwirtschaftlich sinnvoll sind.

  1. Herausforderungen und Lösungsansätze

Trotz der skizzierten Vorteile gibt es diverse technische, wirtschaftliche und regulatorische Hürden auf dem Weg zu einem dezentralen Ausgleichssystem. Die wichtigsten Heraus-forderungen und mögliche Lösungsansätze sind:

  • Technische Komplexität & Sicherheit: Die Steuerung von tausenden bis Millionen dezentralen Einheiten erfordert hochentwickelte IT-Strukturen. Eine Kernfrage ist die Interoperabilität – verschiedene Hersteller von PV-Anlagen, Speichern, Wallboxen etc. müssen einheitlich ansteuerbar sein. Zudem muss die Kommunikation nahezu in Echtzeit erfolgen; Latenzen oder Ausfälle könnten die Stabilität gefährden. Ein drohendes Problem ist auch die Cybersicherheit: Je mehr Geräte vernetzt sind, desto mehr potentielle Einfallstore für Angriffe gibt es.

  • Netzüberwachung (Monitoring): VNB benötigen deutlich mehr IT-Systeme in ihren Niederspannungsnetzen, um Spannungs- und Lastzustände zu erfassen. Smart-Meter können hierzu Daten liefern, aber die Menge der Daten muss auch verarbeitet werden können (Big Data, KI-Algorithmen zur Prognose).

  • Wirtschaftliche Anreize und Geschäftsmodelle: Ein dezentralisiertes System funktioniert nur, wenn alle Akteure entsprechende Anreize haben mitzumachen. Heute sind viele Endkunden noch nicht mit dynamischen Tarifen konfrontiert – ohne Preisdruck gibt es wenig Motivation, z.B. die Waschmaschine nachts laufen zu lassen oder das E-Auto erst bei Überschuss zu laden. Tarifmodelle müssen daher angepasst werden. Auch Marktzugänge für kleine Flexibilitäten sind bisher schwierig, oft lohnen sich die Transaktionskosten nicht. Hier kommen Aggregatoren ins Spiel, die Kleinanlagen bündeln und als Paket vermarkten.

  • Investitionsanreize: Wer finanziert die vielen Heimspeicher oder Vehicle-to-Grid-fähigen Wallboxen? Ohne verlässliche Geschäftsmodelle zögern private und gewerbliche Investoren, Förderprogramme oder neue Vergütungsmechanismen könnten hier Anschub leisten.

  • Regulatorische und organisatorische Hürden: Die bestehende Gesetzgebung ist häufig noch nicht auf Dezentralität ausgelegt. Zwar erlaubt das StromVG prinzipiell neue Geschäftsmodelle, doch Details (z.B. zur Rolle von Aggregatoren oder zu lokalen Energiemärkten) sind wenig konkret. Regulierungsbehörden müssen Richtlinien anpassen, um etwa dem VNB einen Handlungsspielraum für aktives Netzmanagement zu geben. Auch die Koordination zwischen ÜNB und VNB ist zu klären: Wenn beide auf dieselben Flexibilitäten zugreifen (ÜNB für Frequenz, VNB für lokale Spannung), muss ein klarer Ordnungsrahmen Doppelsteuerungen vermeiden.

  • Genehmigungsprozesse als Hürde: Von der Installation von Batteriespeichern (Brandschutz, baurechtliche Fragen) bis zur Zulassung neuer Tarife (Zustimmung durch Aufsichtsbehörden) dauert es häufig zu lange. Schneller zum Ziel führt, wenn die Politik klare energie- und netzpolitische Leitplanken setzt, z.B. in Form einer nationalen Strategie für Smart Grids und Flexibilität.


  1. Empfehlungen für den Schweizer Strommarkt

Basierend auf den vorausgegangenen Betrachtungen lassen sich konkrete Massnahmen für die Schweiz formulieren, um im veränderten Umfeld die Stabilität der Übertragungs- und Verteilnetze durch neue Mechanismen zu erhöhen. Dabei sind die nachstehenden Etappen denkbar:

  • Kurzfristig (nächste 1–3 Jahre): Schaffung von ersten regulatorischen und technischen Massnahmen sowie ökonomischen Anreizen für den Start von Flexibilitätsprogrammen.

  • Mittelfristig (ca. 4–10 Jahre): Umsetzung von ersten strukturelleren Änderungen (marktbasiert, regulatorisch, technisch und organisatorisch) mit dem Ziel, lokale Flexibilitätsmärkte und das Subsidiaritätsprinzip zu verankern.

  • Langfristig (10+ Jahre): In der langfristigen Perspektive – 2035 und darüber hinaus – sollte das Schweizer Stromsystem die Vision eines dynamischen, digitalen und dezentralen Netzes weitgehend verwirklicht haben.

Diese kurz-, mittel- und langfristigen Massnahmen sollten aufeinander aufbauen – von ersten Pilot- und Fördermassnahmen bis hin zur umfassenden Systemtransformation.

  1. Fazit und Ausblick

Zusammengefasst ist die Empfehlung, die visionären Konzepte des zellularen Energie-systems langfristig in den Alltagsbetrieb zu überführen. Die Schweiz kann als innovatives, kleines Land hier eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie bei der Integration erneuerbarer Energien konsequent auf Dezentralität und Flexibilität setzt. Nur wenn die Technologie verlässlich funktioniert, die Anreize stimmen und die Regulierung passt, wird das neue Regime erfolgreich sein.

Die Transformation zu einem zellularen, subsidiären Energiesystem erfordert koordiniertes Handeln aller Akteure – von der Politik und den Regulierungsbehörden über das BFE und EVU bzw. deren Verbände bis hin zu Cybersicherheitsexperten und Hochschulen. Dabei muss stets das Gesamtsystem im Blick behalten werden, um ganzheitliche und innovative Lösungen zu entwickeln. Nationale wie internationale Erkenntnisse sollten in die Planung mit einfliessen, um bewährte Konzepte zu adaptieren und weiterzuentwickeln.

Gleichzeitig soll Raum für visionäre Ideen geschaffen werden, die über das traditionelle "Haben wir immer schon so gemacht" hinausgehen und den Weg in eine zukunfts-weisende, flexible Energieinfrastruktur ebnen.

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